Beim männlichen Paartherapeuten


(piqs/Robert.Gaardt)

„Wissen Sie, in jeder Mittagspause kommt er heim und verkriecht sich unter seinen Kopfhörern. Er sollte sich besser um die Kinder kümmern, statt sich auf die Couch zu fletzen.“ Andrea richtet ihre ein Meter achtzig in einem meiner cognacfarbigen Ledersessel ein.
„Ich mag Musik zum Entspannen.“ Gatte Thomas hockt ihr gegenüber auf der Sesselkante, zwischen den beiden Stühlen sitze ich, Paartherapeut Dr. Robert Koch.
„Ich hab gesagt: die Kinder,“ insistiert sie.
„Die mag ich auch.“
„Kümmern. Du sollst dich kümmern.“
„Wodrum?“, hakt Thomas zerstreut nach.
„Was soll das denn für ein Wort sein?“
„Wasfürein Wort?“
„Sag mal Gerhard, hast du getrunken?“ 
„Du sagst doch immer, ich soll nicht.“
„Als wenn du nur tust, was du nicht sollst.“
„Tu ich aber.“
„Was?“
„Tun, was ich nicht soll. Also ich meine, das tue ich nicht.“
„Herrgott, du machst mich wieder ganz verrückt. Was wollte ich nochmal? Ach ja, du sollst dich um Kinder kümmern.“
„Tu ich fast den ganzen Tag.“
„Haha!“
„Was denkst du, wodrum ich mich sonst kümmere?“
„Da ist es wieder.“
„Was?“
„Dieses Wort. Und deine übliche Ausrede.“
„Ausrede? Wenn ich mittags komme, habe ich bereits sechs Stunden Kinderarbeit hinter mir. Weitere fünf vor mir.“
Andrea fährt fort:“ Ich etwa nicht? Dabei hatte ich es nicht so gut wie du. Ich war auch noch als Köchin, Putzfrau und sonst was gefragt.“ Sie lehnt ihre elegant gezwirbelte Samtband-Frisur an die Lehne; es wirkt, als wolle sie nie wieder auferstehen aus diesem Stuhle.
Gatte Thomas bemüht sich um einen ruhigen Ton, doch die Stimmbänder verraten seine Anspannung:“ Auch ich muss mich kümmern.“
„Um Fremde.“ Der erhobene Zeigefinger ist orange lackiert, nirgendwo ein Eckchen abgeblättert.
Thomas erklärt:“ Das ist mein Job. Der nicht immer leicht ist.“
„Aber meiner, war klar. Ist ja auch toll, sich nur um Fläschchen und Windeln und Kötzchen zu kümmern. Jahraus, Jahrein, so sieht mein Leben aus.“
„Leon ist erst dreizehn Monate.“
„Dreizehn Monate und sieben Tage! Und seit dreizehn Monaten und sieben Tagen liegt alle Arbeit bei mir.“
„Ich hatte mir sechs Monate Elternzeit genommen. Bin jedes Wochenende da.“
„Ja, ja, wenn der gnädige Herr sich nicht mit Bereitschaft herausredest. Rede ruhig alles schön, das macht sich gut vor dem Herrn Therapeuten. Aber ihr Männer haltet zusammen, klar. Wir hätten zu einer Frau gehen sollen, genau, das hätten wir tun sollen.“
Ich unterbreche. „Ich halte zu niemanden, Andrea. Wir sind doch hier zusammen gekommen, um ihre Eheprobleme zu besprechen.“
„Wir hätten gar keine, wenn er nicht so – egoistisch wäre. Jawohl, egoistisch, das ist er. Wenn er keine Kinder mag, hätte er keine in die Welt setzen dürfen.“
„Aber natürlich mag ich Kinder, das weiß du doch. Und durch meine Arbeit verdiene ich ordentlich, du hast ein Au-pair-Mädchen und eine Haushilfe.“
„Aber du könntest dich kindlich orientierter beschäftigen.“
„Wenn ich einhaken dürfte? Ich denke, ich habe verstanden, worum es bei Ihrer Problematik geht.“
„Ein Schnellversteher, da bin ich aber mal gespannt.“ Andrea schiebt die Hände unter ihre Oberschenkel und schaut mich erwartungsvoll an. 
„Vielleicht fällt es Ihnen nach langer Berufstätigkeit schwer, sich so viel mit dem Kind zu beschäftigen,“ sage ich an Andrea gewandt. 
„Sie hingegen,“ ich blicke der Ausgewogenheit Willen zu Thomas, keiner soll  Parteilichkeit spüren, „haben noch ihren beruflichen Ausgleich. Darf ich Sie übrigens fragen, was Sie machen?“
„Ich bin der einzige Kinderarzt unseres Ortes“, antwortet Thomas.

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